Alle, auch Mädchen, sollten sehr viel über Technik wissen. Auch ein Krankenpfleger oder eine Köchin müssen heute verstehen, wie Gesundheits- oder Lebensmitteldaten gemanagt werden. Viele denken häufig noch: Technik ist etwas für Techniker:innen.

Prof. Dr. Gesa Ziemer, HafenCity Universität (HCU)


Zur Person

Gesa Ziemer forscht als Leiterin des City Science Lab an der HafenCity Universität (HCU) Hamburg über die Zukunft der Städte – mit dem Schwerpunkt Digitalisierung und in Kooperation mit dem MIT Media Lab in Cambridge/USA. An der Hochschule ist die promovierte Philosophin im Hauptjob Professorin für Kulturtheorie. Zudem hat das Mitglied der Interface Society die akademische Leitung von UNITAC inne, einem Innovations- und Technologie Lab der Vereinten Nationen, das global zum Einsatz von Technologien vor allem in informellen Siedlungen forscht. Von 2012 bis 2020 war Gesa Ziemer Vizepräsidentin Forschung der HCU, anschließend Humboldt-Stipendiatin an der Harvard Kennedy School in den USA.

Was hat Sie in den Bereich Digitalisierung geführt?

Ich bin vor zehn Jahren an die HafenCity Universität berufen worden. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Technologie-Fragen bei der Forschung zur zukünftigen Stadtentwicklung auf – und ich bekam 2014 vom Präsidium den Auftrag, das City Science Lab aufzubauen, was ich mit einem sehr breiten interdisziplinären Blick auf Stadt gemacht habe. Ich programmiere selbst nicht, aber arbeite hier überwiegend mit Computer Scientists zusammen. Wir sind stark von der Arbeitsweise am MIT geprägt, wo nicht nur gedacht, sondern auch gemacht und ausprobiert wird. Wir entwickeln hier im Lab digitale Werkzeuge, die alle in der Stadtentwicklung eingesetzt werden, in Hamburg und international.

Wir glauben, dass es für Frauen eine gute Zeit ist, in die Tech-Branche einzusteigen – wie sehen Sie das?

Ja, es ist die beste Zeit für Frauen, in technische Berufe zu gehen, weil sie überall gesucht werden – nicht nur in Deutschland, überall auf der Welt. In vielen Fächern unserer Universität sind Frauen unter den Studierenden gut vertreten, aber im Bauingenieurwesen oder vor allem in der Geo-Informatik bleibt das Thema eine Herausforderung. Auch für die Forschung ist es noch immer extrem schwer, Programmiererinnen und Daten-Modelliererinnen zu finden. Wir hofieren alle Frauen, die sich in diesem Bereich bei uns bewerben.

Was sich wirklich verändert hat: Jeder Lebensbereich hat mit Digitalisierung zu tun, und es wird immer interdisziplinärer. Unser ganzes Leben ist inzwischen von Technik durchzogen. Was wir jetzt erleben: Alle, auch Mädchen, sollten sehr viel über Technik wissen. Auch ein Krankenpfleger oder eine Köchin müssen heute verstehen, wie Gesundheits- oder Lebensmitteldaten gemanagt werden. Viele denken häufig noch: Technik ist etwas für Techniker:innen.

Warum gibt es Ihrer Meinung nach noch so wenige Frauen in der Digitalisierungs-Branche?

Frauen denken oft, dass Informatik nicht kreativ ist. Das stimmt nicht, wenn man an die vielen interdisziplinären Themen der Informatik denkt, zum Beispiel an der Schnittstelle zur Stadtentwicklung oder dem Bauwesen. Beispielsweise muss man für einen „Digital Urban Twin“ auch etwas von der Stadt verstehen oder es ist gut, die Gaming Szene zu kennen, da wir mit virtueller oder augmentierter Realität arbeiten. Wir bilden in Deutschland zu wenig an diesen Schnittstellen aus, weshalb wir unsere Fachkräfte oft aus dem Ausland holen. Wir haben zum Beispiel eine Kooperation mit der Universität Delft in den Niederlanden. Programmieren ist heute weit aus mehr als ständig vor dem Bildschirm zu sitzen: Präsentieren, interdisziplinärer Austausch, Reisen und vieles mehr – dies sollte mehr kommuniziert werden.

Welche Hürden müssen Frauen heute in ihrer Tech-Karriere überwinden?

Auf Studiengänge wie „Stadt und Informatik“ oder „Human Machine Interfaces“ bewerben sich in der Regel mehr Frauen als auf reine Informatik-Studiengänge. Ich denke, dass wir die Ansprache noch viel attraktiver gestalten müssen. Das ändert sich auch schon. Zum Beispiel ist urbane Daten-Analyse eine extrem kreative Tätigkeit. Da es ja so viele Daten heutzutage gibt, ist es eine echt interdisziplinäre Aufgabe, diese Daten sinnvoll zu kombinieren. Wenn die Peergroup aber männlich ist, haben Frauen keine Lust sich zu bewerben – das ist auch eine Habitus-Frage.

Es fängt ja schon ganz früh in der Schule an, dass Mädchen bei uns einfach mehr Ermutigung brauchen, dass sie beispielsweise auch gut in Mathematik sein können. Wir brauchen eine bessere Lehrer:innen-Ausbildung und MINT-Didaktik. Es muss absolut selbstverständlich werden, dass Mädchen und Jungen diese Fächer gleichermaßen gut können. Ich frage mich immer wieder, warum wir darüber überhaupt noch darüber sprechen müssen, aber es ist notwendig – steter Tropfen höhlt den Stein.

Gibt es Menschen, die Sie auf Ihrem Weg in der Tech-Branche gefördert haben?

In meinem Leben waren eher Männer Vorbilder für mich, weil es zu wenige Frauen gab. Aber ich kriege immer wieder Hinweise, dass ich selbst als Frau hier an der Universität eine Modellfunktion für jüngere Frauen habe, weil ich meinen Job selbstverständlich mache – was für einige Forscherinnen offenbar wichtig ist, wie sie mir dann später sagen.

Wer inspiriert Sie? Haben Sie Vorbilder?

Es gibt tolle Frauen, beispielsweise die neue Chefin am MIT Media Lab Dava Newman. Sie kommt aus der Raumfahrtforschung und hat lange bei der NASA gearbeitet. Auch in Hamburg gibt es sie: Informatik-Professorin Ingrid Schirmer zum Beispiel hat mich immer inspiriert, weil sie Ideen hatte und oft zeigt, dass man Dinge einfach mal machen muss.

Was sollte sich verändern, damit Frauen noch mehr Karriere in technischen Berufen machen können?

Ich habe irgendwann bemerkt, dass einige erfolgreiche Frauen, die ich gut fand, oft keine Kinder hatten. Was ich schade fand. Glücklicherweise habe ich einen Mann, der seine Zeit immer wieder reduziert hat, so dass ich nie eingeschränkt war. Wir kommen aus der Schweiz, wo Teilzeitarbeit sehr üblich ist, was leider in Deutschland nicht der Fall ist. Wichtig ist es, familienfreundliche Arbeitsumfelder zu schaffen – zum Beispiel keine Meetings nach Kitaschluss, und wenn die Kinder klein sind, nicht zu viele Reisen für Eltern.

Der Arbeitsmarkt muss so gestaltet werden, dass Männer selbstverständlich auch Teilzeit-Jobs machen können. Frauen machen das schon ewig. Man kann sogar eine Professur teilen – die Strukturen in der Arbeitswelt der Männer sind viel zu rigide.

Welche Tipps und Tricks empfehlen Sie?

Einfach machen. An den Noten liegt es meistens nicht. Frauen sagen mir häufig: Mir kommt es nicht so auf das Geld an, ich will vor allem etwas Sinnvolles tun. Denen sage ich: Werde Führungskraft, verdiene doch viel Geld und mach trotzdem etwas Sinnvolles. Das muss man insbesondere den Jüngeren immer wieder sagen. Und: Nach Vorbildern und Frauen-Netzwerken suchen. Vielfach geht es um eine Haltungsfrage – häufig kippt es auch in unserem Bereich, wenn Frauen Kinder bekommen. Dann fallen sie zurück, und das ist schade.

Herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für unser Interview genommen haben!


Zurück zu "Women-in-Tech"

Bereit mehr zu erfahren?

linkedin facebook pinterest youtube rss twitter instagram facebook-blank rss-blank linkedin-blank pinterest youtube twitter instagram