Zur Person:
Sabine Fernau ist seit 2007 in der MINT-Nachwuchsförderung tätig. Seit 2014 begleitet sie jährlich bis zu 250 Mädchen im Programm mint:pink, um sie für die Option MINT zu begeistern und zu motivieren. Mittlerweile studieren die ersten Teilnehmerinnen – über 36 Prozent sind in einem MINT-Studiengang, Medizinstudiengänge eingerechnet sogar 45 Prozent.
Was hat Sie in den MINT-Bereich geführt?
Die Neugier meines Sohnes – für den schon als Dreijähriger klar war, dass er Wissenschaftler oder Tüftler wird. Durch ihn habe ich verstanden, wie wichtig es ist, Technik zu erleben oder Physik zu erfahren, zu begreifen im wahrsten Sinne des Wortes. Ich werde nie vergessen, wie ich im Walzwerk bei Hydro Aluminium über einem Aluminiumbarren in den Ausmaßen eines Volvos stand, der in dünne Folie gewalzt wurde - gleißend, glühend, faszinierend. Die Energie, die in diesem Barren war, konnte ich noch zwei Tage lang spüren. Energie geht niemals verloren, im Physikunterricht hatte ich das nie verstanden. Das muss jeder Schüler einmal am eigenen Leib erleben, habe ich damals gedacht! Anschaulichkeit macht die MINT-Fächer nicht einfacher, aber verständlicher. Daher war für mich klar, dass wir, wenn wir mehr gut ausgebildeten MINT-Nachwuchs haben wollen, genau hier ansetzen müssen. Und dann habe ich mit einem Professor der Mathematik und einem Stifter und Ingenieur die Initiative Naturwissenschaft & Technik gegründet. Mittlerweile sind über 40 Schulen und 100 Organisationen aus Wissenschaft und Wirtschaft an der Initiative beteiligt.
Wir glauben, dass es für Frauen eine gute Zeit ist, in die Tech-Branche einzusteigen - wie sehen Sie das?
Es ist höchste Zeit! Und ja, unbedingt, gerade jetzt, wo so viele Weichenstellungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz und der Digitalisierung vorgenommen und so viele neue Technologien entwickelt werden. Diese Technologien basieren oft auf Algorithmen und diese wiederum auf der Denkstruktur und der Lebenswelt des Entwicklers. Sie haben einen immensen Einfluss auf unser Leben und auf unsere Zukunft. Ich fände es ungemein schade, wenn sich nur junge Männer dieser Technologie bemächtigten. Gerade hier sind unterschiedliche Lebenswelten, Perspektiven, Einblicke und Erfahrungen enorm wichtig.
Warum gibt es Ihrer Meinung nach dennoch so wenige Frauen in der Tech-Branche?
Zum einen entscheiden sich junge Frauen – oft ohne es zu wissen - früh für andere Karrierewege, die Option MINT spielt bei den meisten nach der 10. Klasse keine Rolle mehr. In der Oberstufe wird dies noch verstärkt, und dann sind es nur sehr wenige, die sich mit Informatik oder Tech auseinandersetzen. Mädchen bekommen in anderen Fächern weitaus mehr Bestätigung, während eine Entscheidung für Mathe oder Informatik immer noch in Frage gestellt wird. Zum anderen war das Image der Tech-Berufe lange nicht attraktiv für Frauen, das ändert sich jedoch so langsam.
Wer inspiriert Sie? Haben Sie Vorbilder?
Oh, ja, sehr, sehr viele faszinierende Menschen in Hamburger Unternehmen und Hochschulen! Viele fördern und begleiten unsere Arbeit seit Jahren. Es ist immer wieder inspirierend für mich, mit diesen Menschen im Austausch zu sein, obwohl ich manchmal nur ein Bruchteil verstehe. Der Enthusiasmus der Forscher und Ingenieure hat mich schon das eine oder andere Mal gepackt – und wenn mir dann die Jugendlichen zurückmelden, der Chemieprof oder die Informatikerin hätten sie inspiriert, sich mit dem Thema näher auseinanderzusetzen, bin ich sehr glücklich.
Welche Tipps und Tricks empfehlen Sie?
Den Eltern unter Ihnen würde ich sagen: Schauen Sie genau hin, welche Angebote die weiterführende Schule in der Oberstufe macht. Werden auch die schwierigen Naturwissenschaften wie Chemie oder Physik als Profilfach (Abifach) angeboten? Sind die MINT- Lehrkräfte sichtbar, machen sie einen engagierten Eindruck? Spielt die Informatik an der Schule eine Rolle?
Den jungen Frauen möchte ich zurufen: Jungs können es nicht besser, die tun nur so. Was Männer allerdings wirklich besser machen als wir: die Zweifel wegpacken und etwas wagen.
Den Unternehmen würde ich empfehlen, die Perspektive zu wechseln und sich zu fragen, warum junge Frauen zu Ihnen kommen sollten.